unser Übungsbuch – beobachten
Momentaufnahmen
Beobachtung Eins:
- Die Situation
Ein etwa 30jähriger Mann sitzt mit seinem kleinen Sohn in einem ICE von Kiel in Richtung München. - Diese Dinge fallen mir auf
Er reist mit wenig Gepäck – der Kleine fühlt sich wohl auf der Brust seines Vaters, der auf seinem Smartphone tippt – schwarz gekleidet – Jutebeutel – Rucksack in der Ablage – Haare, die eine Frisur erahnen lassen, auf die ihr Träger stolz war – Gesicht wirkt ziemlich ernst und erwachsen - Eine spontane Kurzbeschreibung
Der Mann sitzt ruhig an einem Tisch im Zug. Auf seiner Brust schläft sein vielleicht einjähriger Sohn. Aufgrund der Falten in seinem Gesicht schätze ich ihn auf Ende dreißig. Seine Frisur zeigt Reste von einer Eitelkeit, die bereits seit längerer Zeit Geschichte ist. Das Haar ist jetzt weniger voll und die Prioritäten haben sich verändert. Die Ruhe, die die beiden ausstrahlen, passt gut zu der Stille, die im Großraumabteil herrscht. - Kreativ gedacht
Er hat sehr wenig Gepäck dabei und fährt vermutlich nicht sehr weit, denn beide sind nicht sehr warm angezogen. Ich stelle mir vor, dass er Christian heißt und von einem Treffen in Kiel zurück nach Hamburg fährt. Mit wem könnte er sich in Kiel getroffen haben?
- Daraus wird eine Szene
Christian war froh, endlich wieder im Zug zu sitzen. Die zwei Stunden mit seinem Vater waren anstrengender als erwartet. Er lächelte, denn offensichtlich hatte das Treffen auch Jonas, seinen elf Monate alten Sohn, müde gemacht. Der Kleine schlief bereits wenige Minuten nachdem der Zug seine Fahrt begonnen hatte, erschöpft auf seiner Brust ein. Ohne dass er sich dabei bewegen musste, las Christian die neuen Nachrichten in seinem Postfach. In knapp zwei Stunden würden die beiden wieder zuhause sein. Dort würde der 39-Jährige noch an einigen Dingen arbeiten müssen, bevor er mit seiner Freundin gemeinsam kochen und ein Glas Rotwein trinken würde. - Das fällt mir inhaltlich auf
Ich tat mich schwer damit, wohin wohl ein Vater mit einem Kind und so wenig Gepäck reisen könnte. Mein nächster Gedanke war, ob dies mit einer Mutter auch der Fall gewesen wäre. Doch letztlich lag es an dem wenigen Gepäck und nicht an einem Rollenmuster. Meine Idee, dass es sich um ein Treffen mit dem Großvater handelte, ist nicht besonders originell, aber es passte zu den beiden Fahrgästen. - Das fällt mir zu meinem Stil auf
Unsicher bin ich immer wieder bei der Verwendung der richtigen Zeiten. Also z.B. war, würde oder hatte. Welche Zeit verwende ich bei einer Beschreibung, die ich in der Gegenwart beobachte. Das Präsens und die nächste Frage ist doch, ob ich es im Indikativ oder im Konjunktiv schreiben muss. Ich bin mir nicht sicher und nehme mir vor, darauf zu achten, sobald ich lese.
Beobachtung Zwei:
- Die Situation
Ein Mann um die dreißig fährt allein in einem Regionalzug vormittags von Hamburg nach Kiel - Diese Dinge fallen mir auf
Funktionshose – Baumfällerhemd – kurze Haare – mittelmäßig gepflegter Vollbart – blaue Jacke mit Kunstfellbesatz – blauer Rucksack – dicke schwarze Brille – telefoniert auf spanisch – grüne Sneaker – sitzt im falschen Zugteil – untersetzte Figur – bewegt sich ungeschickt und schwerfällig – wirkt etwas ungepflegt. - Eine spontane Kurzbeschreibung
Der Mann saß im Zug und streckte seine Beine weit von sich. Er telefonierte auf spanisch. Nachdem die Kontrolleurin ihn darauf hingewiesen hatte, dass er im falschen Zugteil saß, wurde er nervös. Erneut telefonierte er. Ich erklärte ihm, wann er in den vorderen Zugteil umsteigen könnte. Seine Nervosität blieb. - Kreativ gedacht
Ich stelle mir vor, dass er einen Freund in Flensburg besucht. Er selbst heißt Mario und ist für ein schlecht bezahltes Praktikum ein halbes Jahr lang in Hamburg, nachdem er in Spanien seit seinem Uni-Abschluss arbeitslos ist.
- Daraus wird eine Szene
Mario freut sich auf ein Treffen mit seinem Freund in Flensburg. Von Hamburg sind es mehr als zwei Stunden in die Stadt an der dänischen Grenze. Beide sehen sich selten und treffen sich meist in Hamburg, weil es dort mehr zu erleben gibt. Mario hat in Hamburg nur wenige Kontakte mit anderen. Er vermisst seine spanische Heimat und die deutsche Sprache liegt ihm auch nur wenig. Er arbeitet 30 Stunden in der Woche für eine große Online-Plattform und bekommt dafür ein Praktikumsgehalt, von dem er gerade so das Zimmer in einem Wohnheim für ausländische Studenten und seine täglichen Ausgaben für Lebensmittel bezahlen kann. Wenn er Glück hat, dann kann er nach sechs Monaten eine besser bezahlte und befristete Anstellung bekommen. - Nachbetrachtung: Das fällt mir auf
Mir fiel nicht auf Anhieb etwas zu dem Mann ein. Nachdem ich mich entschieden hatte, habe ich die Beschreibung völlig vergessen und mich etwas darin verrannt, in welcher Situation sich die Person befinden könnte. Ich habe meine Beobachtungen ignoriert und nicht mehr berücksichtigt. Dafür ist mir eine ganze Menge zu den fiktiven Lebensumstände eingefallen. - Das fällt mir zu meinem Stil auf
Ich verwende nur wenige Wörter, die Marios Situation etwas erzählender beschreiben könnten. Der Text wirkt dadurch kühl und die Inhalte ziemlich lieblos aneinandergereiht.
Geschichten und Ideen
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Unter Umständen
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